Von Intoleranz zur Toleranz zur Akzeptanz?

Von Intoleranz zur Toleranz zur Akzeptanz? In Deutschland hat sich viel getan, was rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten betrifft. – Philipp Aigner, Franz Krämer und Gabriele Schaller vom Aufklärungsprojekt München haben hierzu einen Artikel im Magazin K3 – Das Magazin des Kreisjugendring München-Stadt, geschrieben und resümieren: Es bleibt noch viel zu tun!

Lesbisch, schwul, bi, trans*, inter*, queer (LSBTIQ*)

In den letzten Jahrzehnten hat sich in Deutschland viel getan, was rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten betrifft. Dennoch werden lesbisch, schwul, bisexuell, trans*(ident), inter*(sexuell) oder queer lebende Menschen hierzulande immer noch diskriminiert und ausgegrenzt – auf gesellschaftlicher und rechtlicher Ebene.

So muss eine Transfrau, um ihren Vornamen und ihren Personenstand ihrem sozial weiblichen Geschlecht anpassen zu können, sich auf eigene Kosten gutachterlich bestätigen lassen, dass sie ein Mann ist, der an der psychischen Krankheit „Transsexualismus“ leidet. Die endgültige Entscheidung trifft dann ein Gericht und dies, obwohl transidente Menschen selbst oft am besten um ihre Geschlechtsidentität wissen und die rechtliche Änderung von Vornamen und Personenstand unabhängig von eventuell angestrebten medizinischen Behandlungen ist.

Auch für gleichgeschlechtliche Paare ergeben sich Probleme durch die aktuelle Rechtslage. So können diese zwar seit 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen (verpartnern), die mittlerweile der Ehe zwischen verschiedengeschlechtlichen Menschen in den meisten Belangen gleichgestellt ist. Doch das gemeinsame Adoptionsrecht und die Bezeichnung „Ehe/Hochzeit“ bleiben gleichgeschlechtlichen Paaren verwehrt. Die andere Bezeichnung kann für Probleme sorgen, wenn beispielsweise ein verpartnerter Mann eine neue Arbeitsstelle sucht und sich durch den Familienstand „verpartnert“ im Lebenslauf zwangsoutet. Dass dies im Jahr 2016 nicht unbedingt bei jedem potenziellen Arbeitgeber gut ankommt, ist Ausdruck der gesellschaftlichen Dominanz und Prägekraft von heteronormativen Vorstellungen. So erscheinen heterosexuelle Formen des Begehrens und Zusammenlebens als das Normale und Richtige und davon abweichende Formen im besten Fall als tolerabel – im schlimmsten Fall als sündhaft oder gar pervers.

Die Kraft von heteronormativen Vorstellungen zeigt sich auch an den Kämpfen, die derzeit in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft um Sprachneuerungen geführt werden. Diese beschäftigen sich mit verschiedenenIdeen wie etwa dem Unterstrich (Schül er_innen). Im (Arbeits-)Alltag machen sich heteronormative Vorstellungen bemerkbar, wenn z.B. Mädchen bei Liebeskummer gefragt werden, ob sie Probleme mit ihrem Freund haben, anstatt die Frage offen zu formulieren: „Hast du Probleme in deiner Beziehung?“ Auch die Frage an Kinder oder Jugendliche, wie es Mama und Papa daheim gehe, berücksichtigt keine anderen Familienformen. Zu den harten Fakten der Rechtslage, die immer noch für Diskriminierung sorgt, kommen zusätzlich Ausgrenzungserfahrungen.

Für Jugendliche, die sich in einer Lebensphase befinden, die ihnen mit den Anforderungen von Eltern, Schule, Peers und der modernen Medien- und Wissensgesellschaft ohnehin viel abverlangt, können solche Ausgrenzungserfahrungen problematisch sein. Auf der Suche nach der eigenen Identität und der Rolle in der Gesellschaft sehen sich LSBTIQ*-Jugendliche mit einer ungleich größeren Herausforderung konfrontiert, wenn sie in der Phase des inneren Comingouts feststellen, dass sie in ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität von der Norm abweichen. Die Tatsache, dass sich niemand die sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität aussuchen kann und oft Scherze über Homosexualität und/oder Transidentität gemacht werden, macht es LSBTIQ*-Jugendlichen zusätzlich schwer. Der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie „schwul“, „Transe“, „Kampflesbe“ oder „Schwuchtel“ in einem abwertenden Kontext trägt nicht zu einem unkomplizierten Selbstfindungsprozess bei. Rückzug, Verstecken, Isolation und Ängste sind häufig die Folgen. Da jeder Mensch anders ist, zieht sich die Phase des inneren Coming-outs unterschiedlich lang hin. Am Ende steht oft das „äußere Coming-out“. Dies ist der Moment, in dem sich eine Person ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität sicher ist und darüber im Freundeskreis oder der Familie spricht. Die Spanne zwischen innerem und äußerem Coming-out dauerte laut der 2015 publizierten Studie des Deutschen Jugendinstituts bei den befragten Jugendlichen durchschnittlich drei bis fünf Jahre, manchmal auch länger. Etwa 74 Prozent der 5.000 befragten Jugendlichen äußerten, dass sie Angst vor der Ablehnung durch ihr soziales Umfeld hatten, bevor sie sich outeten. In Bezug auf ihre Familie hatten 70 Prozent der Jugendlichen diese Befürchtungen. Erschreckend: Zirka 65 Prozent der Jugendlichen schilderten in der Studie konkrete Diskriminierungserfahrungen in den Bereichen Schule, Arbeit und Familie.

Es bleibt festzuhalten, dass es trotz der verbesserten Situation für LSBTIQ*-Menschen noch viel zu tun gibt, vor allem im Jugendbereich. Konkrete Handlungsbedarfe und -möglichkeiten beschreiben die Autorinnen und Autoren des DJIs in ihrer Studie.

Franz Krämer, Philipp Aigner und Gabriele
Schaller, Aufklärungsprojekt München e.V.

Quelle: Krell, C., Oldemeier, K. & Müller, S. (2015). Coming-out – und dann?! Ein DJIForschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen

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